Kurs halten trotz rauer See – Weder Verstärkung noch Verluste werfen Licht aus der Bahn.

Topologie trifft auf offene Systeme: Durch die Kombination zweier bisher als unvereinbar geltender Konzepte erschließen sich neue technologische Möglichkeiten zur geschützten Übertragung von Lichtsignalen

Energieerhaltung ist eine zentrale Maxime der Physik, egal ob es um die Beschreibung von Planetenbahnen oder des Innenlebens von Atomen geht. Während verschiedene Energieformen ineinander umgewandelt werden können, bleibt ihre Summe in der Zeit unverändert. Demnach sind Physiker*Innen normalerweise immer bestrebt, das zu beschreibende System so von der Außenwelt abzuschirmen, dass es als abgeschlossen betrachtet werden kann. Dies ist jedoch nicht die einzige Möglichkeit der Stabilisierung: Mit etwas Fingerspitzengefühl lassen sich Zustrom und Abfluss von Energie so positionieren, dass sie sich unter allen denkbaren Bedingungen kompensieren. Ein systematischer Ansatz, der dies sicherstellt, ist die sogenannte PT-Symmetrie: Die Komponenten werden so angeordnet, dass ein Austausch von Verstärkung und Verlust mit gleichzeitiger Spiegelung das System in sich selbst überführt. Dieser scheinbar abstrakte Ansatz ebnete den Weg zu einem tieferen Verständnis der Physik offener Systeme.

Das faszinierende Phänomen der PT-Symmetrie ist das Spezialgebiet von Professor Alexander Szameit. Seine Gruppe an der Universität Rostock nutzt laser-geschriebene Wellenleiter zur Erforschung diskreter Systeme. In solch maßgeschneiderten „photonischen Schaltkreisen“ kann Licht das Verhalten natürlicher sowie synthetischer Materialen detailgetreu nachbilden, und verschiedenste physikalische Theorien auf den Prüfstand zu stellen. So gelang es den Wissenschaftlern um Prof. Szameit, PT-Symmetrie mit dem Konzept der Topologie zu vereinen. „Topologische Isolatoren sind ein heißes Thema, weil sie Strom oder Lichtsignale verlustfrei entlang ihrer Oberfläche leiten können“, so Szameit. „Das einzigartige Verhalten dieser neuen Klasse von Materialien schirmt Signale gleichermaßen von Defekten und Störungen ab, was für verschiedenste Anwendungen von großem Interesse ist.“

Jedoch galt genau diese Robustheit als fundamental inkompatibel mit dem Energieaustausch in offenen Systemen. Gemeinsam konnten die Forschenden aus Rostock, Würzburg und Indianapolis jedoch zeigen, dass dieser scheinbare Widerspruch eine geschickte raum-zeitliche Modulation von Verstärkung und Dämpfung diesen scheinbaren Widerspruch auflösen kann. Der Erstautor und Doktorand Alexander Fritzsche führt aus: “Ähnlich einem Wanderer im Gebirge, der trotz ständigem Auf und Ab stets auf seine Ausgangshöhe zurückkehrt, erfahren Lichtsignale im geschützten Randkanal unseres PT-symmetrischen topologischen Isolators abwechselnd Verstärkung und Dämpfung – so können sie im Mittel ihre Amplitude beibehalten, und sich gleichzeitig der Robustheit erfreuen, die ihnen durch die topologischen Eigenschaften des Materials verliehen wird.“

Diese im Rahmen einer internationalen Kooperation gewonnenen Erkenntnisse stellen einen wichtigen Beitrag zum Verständnis des Wechselspiels von Topologie mit offenen Systemen dar, und könnten in Zukunft den Ausgangspunkt zur Entwicklung neuartiger robuster Schaltkreise für elektrischen Strom, Licht und sogar Schallwellen bilden.

Die vorliegende Arbeit wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung gefördert.

Originalveröffentlichung: Fritzsche et al., „Parity-Time-symmetric Photonic Topological Insulator”, Nature Materials (2024). Link

Kontakt:
Prof. Dr. Alexander Szameit

AG Experimentelle Festkörperoptik
Institut für Physik
Universität Rostock

Tel.: +49 381 498-6790
E-Mail: alexander.szameituni-rostockde


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