Aus der Ecke in die Überholspur – Nichtlineare topologische Isolatoren höherer Ordnung

Die topologischen Ecken eines Kagome-Gitters aus Wellenleitern dienen als geschützte „Raststätten“ auf der Photonen-Autobahn (Universität Rostock / Marco S. Kirsch).

„Die zurückliegenden Monate haben uns allen vor Augen geführt, wie wichtig ein geschützter Rückzugsort im Angesicht bedrohlicher äußerer Umstände sein kann,“ erinnert sich Dr. Matthias Heinrich, korrespondierender Autor der wegweisenden Arbeit. Ein ähnliches Konzept lässt sich auch auf Lichtsignale übertragen, die mit enormen Geschwindigkeiten durch optische Netzwerke eilen, aber dabei überraschend störanfällig sein können.

Photonische topologische Isolatoren – künstliche Materialien, die Licht effizient entlang ihrer Kanten leiten, ohne es in ihr Inneres eindringen zu lassen – haben Professor Szameit schon lange fasziniert. „Seit es uns das erste Mal gelungen ist, so ein System zu realisieren, arbeiten wir an neuen Wegen, diese einzigartigen Materialien nutzbar zu machen,“ erinnert sich der Leiter der Arbeitsgruppe für Festkörperoptik. Während topologische Isolatoren Licht zwar schützen können, während es sich entlang definierter Pfade ausbreitet, ohne durch Störstellen oder äußere Einflüsse gestreut zu werden, kann dies auch zum Problem werden.

„Für Photonen gibt es kein ‚Stopp‘-Schild,“ beschreibt Erstautor Marco S. Kirsch den Ausgangspunkt seiner Überlegungen. „Und was die Sache noch viel schwieriger macht: Topologisch geschütztes Licht umfließt auch jegliche Form von ‚Straßensperren‘, mit denen man Licht in konventionellen Systemen aufhalten könnte.“ Die Lösung, die der junge Physiker im Rahmen seiner Bachelorarbeit erdachte, kann man sich als ‚Raststätten‘ vorstellen, in denen Licht pausieren kann, ohne jemals die topologische ‚Autobahn‘ zu verlassen. Im Kontext der Photonik sind dies Eckzustände in sogenannten topologischen Isolatoren höherer Ordnung.

In enger Zusammenarbeit mit Theoretikern aus Rostock, Barcelona, Lissabon und Moskau entwickelten die jungen Rostocker Forscher einen Ansatz, der nichtlineare Effekte nutzt, um die notwendige Kopplung zwischen lokalisierten und propagierenden topologischen Zuständen zu bewirken. „Im Prinzip nutzen wir Nichtlinearität als Wegweiser, um Lichtimpulse gezielt auf so einen Rastplatz zu steuern, und sie bei Bedarf wieder auf Reise zu schicken“, führt Kirsch aus. Trotz der pandemiebedingten erschwerenden Umstände waren ein Jahr intensiver Forschungsarbeit und zahllose Stunden in den Laboren des Rostocker Instituts für Physik nun nicht nur durch eine exzellente Bachelorarbeit von Erfolg gekrönt, sondern brachten dem ehrgeizigen jungen Physiker auch eine Veröffentlichung in einem der namhaftesten Fachjournale ein.

Das Ergebnis dieser erfolgreichen internationalen Kooperation stellt einen bedeutenden Fortschritt der Grundlagenforschung auf dem Gebiet der nichtlinearen topologischen Photonik dar. Die Palette der daraus erwachsenden Möglichkeiten ist gewaltig, sie reicht von adaptiver photonischer Datenverarbeitung bis hin zu lichtbasierten neuronalen Netzwerken. Zwar gilt es noch einige Hürden zu überwinden, bevor die dabei gewonnenen Erkenntnisse ihren Weg in alltägliche Anwendungen finden. Eine neue Generation an fähigen jungen Forschern ist jedoch unermüdlich dabei, diese Ideen Realität werden zu lassen.

Die Arbeit wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung gefördert.

Die Original-Veröffentlichung in “Nature Physics” ist verfügbar unter DOI: 10.1038/s41567-021-01275-3 (https://www.nature.com/articles/s41567-021-01275-3).

Kontakt:
Dr. Matthias Heinrich
AG Experimentelle Festkörperoptik
Institut für Physik
Universität Rostock

Tel.: +49 381 498-6796
E-Mail: matthias.heinrichuni-rostockde


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